Weimar, 19. Dezember 1995
 
   
Goethe und das Christentum
  Goethe sagte zum Ende seines Lebens: «Es ist gar viel 
Dummes in den Satzungen der Kirche.» (Eckermann,  11.3.1832)
  In
seinem <West-östlichen Divan> betont Goethe den  Wert des kostbaren
gegenwärtigen Augenblickes anstelle der  christlichen Haltung des Wartens
auf die nächste Welt und  damit der Erniedrigung all dessen, was Gott dem
Menschen in jedem  Augenblick seines Lebens gibt.
  Goethe lehnt das
christliche Bild von Jesus ab und  bestätigt die Einheit Allahs in einem
Gedicht seines  <West-östlichen Divans>:
 
 
«Jesus fühlte rein und dachte
  Nur den Einen Gott im Stillen;
 Wer ihn selbst zum Gotte machte
  Kränkte seinen heil'gen Willen.
 Und so muß das Rechte scheinen
  Was auch Mahomet gelungen;
  Nur
durch den Begriff des Einen
  Hat er alle Welt bezwungen.» 
 
(WA I, 6, 288 ff)
 
  Neben Jesus und Muhammad - möge Allah ihn segnen und ihm  Frieden
geben! - nennt Goethe in den folgenden Versen auch  Abraham, Moses und David als
Repräsentanten der Einheit  Gottes. Es ist eine bekannte Tatsache, daß
Goethe eine  starke Abneigung gegen das Symbol des Kreuzes empfand. Er  schrieb:
 
 
«Und nun kommst du, hast ein Zeichen
  Dran gehängt, das unter
allen ...
  Mir am schlechtesten will gefallen
  Diese ganze moderne
Narrheit
  Magst du mir nach Schiras bringen!
  Soll ich wohl, in seiner
Starrheit,
  Hölzchen quer auf Hölzchen singen?...»
 
  Und sogar noch stärker: 
 
 
«Mir willst du zum Gotte machen
  Solch ein Jammerbild am Holze!»
  Auch in <Wilhelm Meisters Wanderjahre> (Buch 2, Kap. 2)  schrieb
Goethe ziemlich unverblümt, daß es eine 
«verdammungswürdige Frechheit [sei], mit  diesen tiefen
Geheimnissen, in welchen die göttliche Tiefe  des Leidens verborgen liegt,
zu spielen.» Man solle eher 
«einen Schleier über diese Leiden ziehen.»  Schließlich
bezeichnet Goethe im  Siebenschläfer-Gedicht des <West-östlichen
Divan>  Jesus als Propheten: «Ephesus gar manches Jahr schon, / 
Ehrt die Lehre des Propheten / Jesus. (Friede sei dem  Guten!)» (WA I,
6, 269)
 
 
 
Sufismus / Ausübung des Dhikr
  Goethe faszinierte auch Saadis Metapher des Sufis als der  «verliebten
Mücke», die im tödlichen Licht  verglüht. Verwiesen sei hier
im besonderen auf das  Divan-Gedicht <Selige Sehnsucht>, in dem ein
Schmetterling  in das Licht fliegt. Frühere Titel dieses Gedichtes lauteten
 <Selbstopfer> und <Vollendung>.
  Im Divan-Kapitel über
Rumi beschreibt Goethe die Anrufung  Allahs und ihren Segen: «Schon der
sogenannte  mahometanische Rosenkranz, wodurch der Name Allah mit 
neunundneunzig Eigenschaften verherrlicht wird, ist eine solche  Lob- und
Preis-Litanei. Bejahende, verneinende Eigenschaften  bezeichnen das
unbegreifliche Wesen; der Anbeter staunt, ergibt  und beruhigt sich.»
(WA I, 7, 59)
 
 
 
Goethe und Islam
  Als junger Mann wollte Goethe Philologie bzw. Arabistik  studieren -
sein Vater bestand jedoch auf dem juristischen  Studium; zeitlebens bewunderte
er die ersten Arabienreisenden  (Michaelis, Niebuhr) und las fasziniert alles,
was sie über  ihre Reisen veröffentlichten.
  Als Goethe 1814/1815
seinen <Divan> verfaßte, hatte  er sich mit den Professoren für
Orientalistik Paulus,  Lorsbach und Kosegarten (Jena) im Lesen und Schreiben des
 Arabischen geübt. Nachdem er arabische Handschriften gesehen  und vom
Qur'an erfahren hatte, empfand er eine große  Sehnsucht, Arabisch zu
lernen. Er kopierte eigenhändig kurze  arabische Bittgebete (Du'as) und
schrieb: «In keiner  Sprache ist vielleicht Geist, Wort und Schrift so 
uranfänglich zusammengekörpert.» (Brief an  Schlosser,
23.1.1815, WA IV, 25, 165)
  Im Alter von siebzig Jahren schreibt Goethe
(Noten und  Abhandlungen zum West-östlichen Divan, WA I, 7, 153),  daß
er beabsichtige, «ehrfurchtsvoll jene heilige  Nacht [zu] feiern, wo
der Koran vollständig dem Propheten  von obenher gebracht ward» Er
schrieb auch: 
«[es] darf sich über die große Wirksamkeit des  Buches
niemand verwundern. Weshalb es denn auch von den echten  Verehrern für
unerschaffen und mit Gott gleich ewig  erklärt wurde.» und fügte
hinzu: «so  wird doch dieses Buch für ewige Zeiten höchst
wirksam  verbleiben» (WA I, 7, 35/36)
  Bis auf den heutigen Tag
besitzen wir die Handschriften seiner  ersten intensiven Qur'an-Studien aus den
Jahren 1771/1772 sowie  auch der späteren. Goethe las den Mitgliedern der 
Herzogsfamilie von Weimar und ihren Gästen die deutsche  Übersetzung
des Qur'an von J. Hammer (vermutlich auch die  prosaischere englische Übersetzung
von G. Sale) laut vor.  Als Zeugen berichten Schiller und seine Frau über
diese  Lesungen. (Schillers Brief an Knebel vom 22.2.1815)
  Stets empfand
Goethe die Mängel aller Übersetzungen  des Qur'an (der lateinischen,
englischen, deutschen und der  französischen) und suchte unaufhörlich
nach neuen  Ausgaben. In seinem <Divan> sagt er: 
 
 
«Ob der Koran von Ewigkeit sei? 
  Darnach frag' ich nicht ! ...
  Daß er das Buch der Bücher sei 
  Glaub' ich aus
Mosleminen-Pflicht»
  (WA I, 6, 203)
 
  Er studierte arabische Handbücher, Grammatiken, 
Reisebeschreibungen, Dichtung, Anthologien, Bücher über  die
Lebensgeschichte (Sira) des Propheten - möge Allah ihn  segnen und ihm
Frieden gewähren! - und pflegte einen  umfangreichen Austausch mit
Orientalisten aus ganz Deutschland.  Goethe schätzte die deutsche Übersetzung
von Hafis'  <Diwan> (Mai 1814) und studierte die verschiedenen  Qur'an-Übersetzungen
seiner Zeit. All dies inspirierte ihn,  seinen eigenen <West-östlichen
Divan> zu verfassen,  der selbst wiederum viele Gedichte enthält, die
eindeutig  durch den Qur'an angeregt wurden und sich auf verschiedene seiner 
Ayats beziehen (siehe Mommsen, 269-274).  Goethe kaufte alte arabische
Handschriften von Rumi, Dschami,  Hafis, Saadi, Attar, Qur'an-Tafsir,
verschiedene  Segenswünsche (Du'as), ein Arabisch-Türkisches  Wörterbuch,
Texte über Angelegenheiten wie die  Befreiung von Sklaven, das Kaufen und
Verkaufen, Zins, Wucher  sowie originale Handschriften von Sultan Selim.
 
Goethe betrachtete es nicht als bloßen Zufall, sondern  vielmehr als
bedeutsame Ereignisse, ja als Teil seines Schicksals  und Zeichen von Allah, daß:
 - ihm im Herbst 1813 von einem aus Spanien heimkehrenden  Soldaten eine alte
arabische Handschrift gebracht wurde, die die  letzte Sure (114) des Qur'an <An-Nas>
enthielt. Später  versuchte Goethe sie mithilfe der Professoren in Jena 
eigenhändig zu kopieren, die ihm auch dabei halfen, den  Inhalt der
Handschrift zu ermitteln.
  - er im Januar des Jahres 1814 einem
Freitagsgebet von Muslimen,  Baschkiren aus der russischen Armee des Zaren
Alexander, im  protestantischen Gymnasium Weimars beiwohnte. Im Brief an Trebra 
vom 5.1.1814 (WA IV, 24, 91) schreibt er: «Da ich von  Weissagungen
rede, so muß ich bemerken, daß zu  unserer Zeit Dinge geschehen,
welche man keinem Propheten  auszusprechen erlaubt hätte. Wer durfte wohl
vor einigen  Jahren verkünden, daß in dem Hörsaale unseres 
protestantischen Gymnasiums mahometanischer Gottesdienst werde  gehalten und die
Suren des Korans würden hergemurmelt  werden, und doch ist es geschehen,
wir haben der baschkirischen  Andacht beygewohnt, ihren Mulla geschaut, und
ihren Prinzen im  Theater bewillkommt. Aus besonderer Gunst hat man mir Bogen
und  Pfeile verehrt, die ich, zu ewigem Andenken, über meinen  Kamin, aufhängen
werde, sobald Gott diesen lieben  Gästen eine glückliche Rückkehr
bestimmt  hat.»» In einem Brief vom 17.1.1814 (WA IV, 24,  110) an
seinen Sohn August fügt er hinzu: «Mehrere  unserer religiosen
Damen haben sich die Übersetzung des  Corans von der Bibliothek erbeten.»
 Goethes positive Einstellung gegenüber dem Islam geht weit  über
alles bisherige in Deutschland hinaus. Am 24.2.1816  veröffentlichte er
folgenden Satz: «Der Dichter  (Goethe) ... lehnt den Verdacht nicht ab,
daß er selbst ein  Muselmann sei.» (WA I, 41, 86)
  In einem
Gedicht seines <Divan> sagt Goethe: 
 
 
«Närrisch, daß jeder in seinem Falle 
  Seine besondere
Meinung preist! 
  Wenn Islam Gott ergeben heißt, 
  In Islam
leben und sterben wir alle.»
  (WA I, 6, 128)
 
  Neben seiner Faszination für die Sprache des Qur'an, ihre  Schönheit
und Erhabenheit, empfand Goethe eine große  Anziehung für seine
religiöse und philosophische  Bedeutung: die Einheit Gottes, sowie die Überzeugung,
 daß Gott sich in der Natur, in der Schöpfung  offenbare, ist eines
der zentralen Themen in Goethes Werk.  Während seiner ersten intensiven
Qur'an-Studien in den  Jahren 1771/1772 kopierte und verbesserte Goethe
teilweise den  Text der ersten direkten Qur'an-Übersetzung aus dem 
Arabischen ins Deutsche. Goethe notierte verschiedene Ayats des  Qur'an, die dem
Menschen zeigen, wie er die Natur in all ihren  Erscheinungsformen betrachten möge:
als Zeichen  göttlicher Gesetze. Die Vielfalt der Phänomene weist  hin
auf den Einen Gott. Die Bezugnahme auf die Natur, wie der  Qur'an sie darstellt,
verbunden mit der Lehre von der Güte  und Einheit Gottes, die Goethe in den
Ayats aus der zweiten Sure  (Al Baqara) des Qur'an kennenlernte, wurden zu den
Hauptpfeilern,  auf denen seine Sympathie und Affinität zum Islam beruhen 
sollten. Er sagte, wir sollten «Gottes Größe  im Kleinen»
erkennen und bezieht sich dabei auf das Ayat  25 aus der zweiten Sure des
Qur'an, wo das Bild der Fliege  gegeben wird.
  Nachhaltig bewegt war Goethe
auch von der Erkenntnis, daß  Allah durch Propheten zur Menschheit
spricht; Goethe  bestätigte daraufhin den Propheten Muhammad - möge 
Allah ihm segnen und ihm Frieden geben! In einem Brief an  Blumenthal vom
28.5.1819 schreibt Goethe, indem er sich auf die  Sure Ibrahim, Ayat 4 bezieht:
«denn es ist wahr, was Gott  im Koran sagt: Wir haben keinem Volk einen
Propheten geschickt,  als in seiner Sprache!» (WA IV, 31, 160) Indem er
sich  auf das gleiche Ayat bezieht, wiederholt er in einem Brief an  Carlyle:
«Der Koran sagt: Gott hat jedem Volke einen  Propheten gegeben in
seiner eigenen Sprache.» (WA IV,  42, 270) In einem Essay der
Zeitschrift German Romance, Vol. IV,  Edinburgh 1827 (WA I, 41, 307) erscheint
diese Ansicht  erneut.
  Goethe bekräftigte die Zurückweisung der 
Ungläubigen, die den Propheten - möge Allah ihn segnen  und ihm
Frieden gewähren ! - dazu aufriefen, ihnen Wunder zu  zeigen - «Wunder
kann ich nicht thun sagt der Prophete, /  Das größte Wunder ist daß
ich bin.» (WA  I, 6, 476)
  In seinem <Mahomet> verfaßte
Goethe seinen  berühmten Lobgesang <Mahomets Gesang>. Die Bedeutung 
des Propheten - möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben!  - wird in der
Metapher des Stromes gefaßt, der, beginnend  als kleines Rinnsal, immer
breiter wird, sich ausdehnt und nach  und nach zu einer gewaltigen geistigen
Kraft anwächst, um  schließlich glorreich in den Ozean, das Symbol
der  Göttlichkeit, zu münden. Er beschreibt den  religiösen
Genius, wie er, dem Strome gleich, die anderen  Menschen, wie Bäche und Flüsse,
mit sich fort zieht auf  seinem Weg zum Meer. Auf einer Handschrift der
Paralipomena III,  31 schreibt Goethe am 27.1.1816:
 
 
«Oberhaupt der Geschöpfe - Muhammed.» (WA  I, 6, 482)
  Ein weiteres bedeutendes Element des Islam ist die Betonung des  rechten
Verhaltens des Muslim. Hier war es das Geben der Sadaqa,  das großzügige
Geben des Muslim, was Goethe besonders  beeindruckte. In mehreren Gedichten
seines <Divan>, im  <Buch der Sprüche>, beschreibt er «die
Wonne  des Gebens» und sagt «Schau' es recht und du  wirst
immer geben.» (WA I, 6, 70) An dieser Handlung  faszinierte Goethe, daß
sie nicht erst später belohnt,  sondern unmittelbar als segensreich
erfahren wird.
  Goethe ist weiterhin bekannt für seine klare Ablehnung
der  Vorstellung eines Zufalls: «Was die Menschen bei ihren 
Unternehmungen nicht in Anschlag bringen und nicht bringen  können, und was
da, wo ihre Größe am herrlichsten  erscheinen sollte, am
auffallendsten waltet - der Zufall  nachher von ihnen genannt -, das ist
eben Gott, der hier  unmittelbar mit seiner Allmacht eintritt und sich
durch das  Geringfügigste verherrlicht.»
	   (Gespräch
mit Riemer, Nov. 1807)
  Sein fester Glaube an die Vorsehung Gottes (siehe
beispielsweise  das Gespräch mit Kanzler Müller vom 12.8.1827, WA I, 
42, 212, WA I, 32, 57), seine berühmten <Divan>-Verse: 
«Hätt' Allah mich bestimmt zum Wurm,/ So hätt'  er mich als
Wurm geschaffen.» (WA I, 6, 113) sowie seine  Worte: «Die
Parabeln (Metaphern des Divan) ... lehren und  bestätigen den eigentlichen
Islam, die unbedingte Ergebung  in den Willen Gottes, die Überzeugung, daß
niemand  seinem einmal bestimmten Loose ausweichen könne.»  (WA I,
7, 151) führten zu seiner persönlichen Haltung  der Ergebung in den
Willen Gottes; d.h., Goethe nahm es als  Befehl, diesen dankbar anzunehmen und
nicht dagegen  aufzubegehren. In seinem literarischen Werk finden sich  hierfür
starke Anklänge in <Egmont>, <Dichtung  und Wahrheit>, <Urworte
Orphisch> und <Wilhelm  Meisters Wanderjahre> u.a..
  Als
tiefbewegendes Beispiel aus seinem Leben kann sein Verhalten  im Juli 1816 bei
seiner dritten Reise zu Marianne von Willemer  gesehen werden, die kurz nach der
Abfahrt nach dem Bruch der  Wagenachse durch einen Unfall abrupt beendet wurde.
Goethe hatte  diese Reise sehnsüchtig herbeigesehnt, denn er 
beabsichtigte, kurz nach dem Tode seiner geliebten Frau  Christiane, deren
Verlust ihn tief erschüttert hatte, erneut  zu heiraten. Den Unfall seiner
Reisekutsche nahm Goethe als  unmittelbaren Schicksalswink und entschlug sich
augenblicklich  seiner anfänglichen Absicht und sollte Marianne von
Willemer  tatsächlich nie mehr sehen. Danach schrieb Goethe: 
«Und so müssen wir denn wieder im Islam, (das  heißt: in
unbedingter Hingebung in den Willen Gottes)  verharren...» (WA IV, 27,
123) Ähnlich heißt  es in einem Brief an Zelter vom 20.9.1820: «Weiter
kann  ich nichts sagen, als daß ich hier mich im Islam zu halten  suche.»
(WA IV, 33, 123) Als 1831 durch das Auftreten  der Cholera viele Menschen
starben, tröstete er Louise Adele  Schopenhauer am 19.9.1831 brieflich:
«Hier kann niemand  dem andern rathen; beschließe was zu thun ist
jeder bey  sich. Im Islam leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch  Muth
machen.» (WA IV, 49, 87) Am 22.12.1820 bedankte  sich Goethe brieflich
für das Geschenk eines  Aphorismen-Buches seines Freundes Willemer und sagt
darüber: 
«Es stimmt ... zu jeder religios-vernünftigen  Ansicht und ist ein
Islam, zu dem wir uns früher oder  später alle bekennen müssen.»
(WA IV, 34, 50)  Als Teilnehmer des Kriegsheeres gegen Frankreich, bemerkt
Goethe  am 7./8. Oktober 1792, daß jener Glaube an die  Vorherbestimmung
Gottes seinen reinsten Ausdruck im Islam finde: 
«Der Mensch, wenn er sich getreu bleibt, findet zu jedem  Zustande eine
hülfreiche Maxime; ... Die Mahomedanische  Religion gibt hievon den besten
Beweis.» (WA I, 33,  123)
  Nach Eckermanns Bericht über eine
Unterhaltung mit Goethe  (11.4.1827) über die Erziehungsmethode der
Muslime, die sie  unablässig mit den Gegensätzen der Existenz 
konfrontiere, sie so den Zweifel erfahren lasse, der sich nach  erfolgter Prüfung
des Sachverhaltes schließlich zur  Gewißheit wandle, schloß
Goethe mit den Worten: 
«Sie sehen, daß dieser Lehre nichts fehlt und  daß wir mit
allen unsern Systemen nicht weiter sind und  daß überhaupt niemand
weiter gelangen kann. ... Jenes  philosophische System der Mohammedaner ist ein
artiger  Maßstab, den man an sich und an andere anlegen kann, um zu 
erfahren, auf welcher Stufe geistiger Tugend man denn eigentlich  stehe.»
 Über Dinge, die sich dem Verstand des Menschen und damit  der Spekulation
entziehen, schreibt Goethe in seinen <Maximen  und Reflexionen>: «Das
schönste Glück des  denkenden Menschen ist, das Erforschliche
erforscht zu haben und  das Unerforschliche ruhig zu verehren.» Dies
bezieht  sich auf die Vorsicht des Muslim, nicht nach Dingen zu fragen,  die vom
Menschen nicht gewußt werden können.
 
 
 
  Über die Einheit Gottes sagte Goethe: «Der Glaube  an den
einigen Gott wirkt immer geisterhebend, indem er den  Menschen auf die Einheit
seines eignen Innern  zurückweist.» (Noten und Abhandlungen zum 
West-östlichen Divan, WA I, 7, 42)
  Goethe spricht über den
Unterschied zwischen einem  Propheten und einem Dichter und bestätigt
Muhammad -  möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben!: «Er  sei
Prophet und nicht Poet und daher auch sein Koran als  göttliches Gesetz und
nicht etwa als menschliches Buch, zum  Unterricht oder zum Vergnügen,
anzusehen.» (Noten  und Abhandlungen zum West-östlichen Divan, WA
I, 7, 32)
 
 
 
 
 
   
Nach Prüfung des obenstehenden Beweismaterials und der
 Einsicht in die gleichlautenden Belege in den Schriften seiner  engen Freunde
Thomas Carlyle und Schiller ist es möglich, zu  einem klaren Beschluß
ohne Zweideutigkeit und Zweifel zu  gelangen.
  Der gesamte Inhalt seiner
naturwissenschaftlichen Schriften,  besonders diejenige <Zur Morphologie>,
steht für die  lebenslange Verbreitung der Ansicht, daß das Universum
die  Schöpfung eines göttlichen Wesens ist und daß der  Schöpfer
keinen Aspekt besitzt, der mit Seiner  Schöpfung zu verknüpfen wäre.
 Obwohl er sein Leben im Lande der Ungläubigen verbrachte,  übernahm
und verkündete er ganzen Herzens die  Verpflichtung zur doppelten Schahada
und bestätigte,  daß es keinen Gott geben kann, außer Allah,
den  Einen, und daß Sein Gesandter und das Siegel der Gesandten  Muhammad
war - möge Allah ihn segnen und ihm Frieden  geben!
  Ohne in Salat
(Gebet), Zakat (Armensteuer), Sawm (Fasten) und  Hadsch (Pilgerreise nach Mekka)
eingewiesen worden zu sein, nahm  er nichtsdestotrotz die seltene Gelegenheit
war, an einem  Dschumm'a-Gebet teilzunehmen. In alledem wird klar, daß er 
den Islam als seinen eigenen Din ansah.
  Aus den verschiedenen berühmten
und bestätigten  Hadithen in Muslim, Bukhari und den Sunnan-Sammlungen ist 
bekannt, daß die Bestätigung Allahs und Seines  Gesandten die
unzweifelhafte Tür zum Islam und der  Schlüssel zum Dschannah
(Paradiesgarten) ist.
  Somit kann eindeutig angenommen werden, daß
Europas  größter Dichter und der Ruhm der deutschen Sprache und 
ihres geistigen Lebens gleichzeitig auch der erste Muslim des  neuzeitlichen
Europa ist; erneut erweckt er in den Herzen der  Menschen die Sehnsucht nach
Wissen von Gott und Seinem Propheten,  ein Wissen, das seit der Dunkelheit, die
über das islamische  Spanien hereingebrochen war, in tiefen Schlaf sank.
 Im Lichte seiner überwältigenden Bestätigung des  Propheten - möge
Allah ihn segnen und ihm Frieden geben! -  soll er bei den Muslimen von nun an
bekannt sein als Muhammad  Johann Wolfgang von Goethe.
 
  Schaikh 'Abdulqadir Al-Murabit
  Autorisiert vom Amir der
Gemeinschaft der Muslime in Weimar,
  Hajj Abu Bakr Rieger
	 
  Weimar, den 19. Dezember 1995
Islamische Zeitung, Nr: 5,
1995