Arabische Verfolgte im Nationalsozialismus
Für eine
differenzierte Sicht
Zu den Opfern des Nationalsozialismus zählen auch zahlreiche
arabische Migranten, die in Konzentrationslagern interniert wurden. Doch
waren sie nicht derselben systematischen Verfolgung ausgesetzt wie
Juden, Sinti und Roma. Hintergründe von Götz Nordbruch
| Bild: Arabische
Gefangene im Zweiten Weltkrieg |
"Beirut, Berlin,
Beirut" lautet der Titel eines autobiographischen Berichtes, den der
libanesische Journalist Kamil Mrowa wenige Monate nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges veröffentlichte. Istanbul, Sofia, Wien und Berlin
waren die Orte seines Exils, in das Mrowa in den Jahren 1941 – 1944
gezwungen wurde.
Kollaborateure der Nationalsozialisten
Als Mitarbeiter einer deutschen Presseagentur, die im Nahen Osten für
die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda zuständig war, floh
er vor den britischen und französischen Truppen, die den Libanon im
Sommer 1941 vom pro-deutschen Vichy-Regime befreiten.
Diese Erzählung des späteren Gründers der renommierten Tageszeitung
al-Hayat, in der dessen Erlebnisse nach der Flucht in den
nationalsozialistischen Machtbereich wiedergegeben werden, ist eine der
wenigen Quellen, in denen ein arabischer Autor über seinen Alltag unter
nationalsozialistischer Herrschaft berichtet.
Trotz aller Beschwernisse und Einschränkungen, die Mrowa während dieser
Kriegsjahre schildert, genoss er als Angehöriger der Gruppe um den mit
den Achsenmächten zusammenarbeitenden Jerusalemer Mufti Hadj Amin
al-Husseini zahlreiche Privilegien.
Sie unterscheiden sein Schicksal grundlegend von Erfahrungen, die andere
Araber als Studenten, Arbeiter oder Kriegsgefangene mit dem
Nationalsozialismus sammelten.
Mit aufwendiger Recherche bemühte sich der kürzlich verstorbene Berliner
Nahosthistoriker Gerhard Höpp in den vergangenen Jahren darum, die
Spuren arabischer Migranten zu rekonstruieren, die sich jenseits von
Kollaboration und Anbiederung im nationalsozialistischen Deutschland
aufhielten.
Arabische Opfer des NS-Regimes
Höpps Studien geben Auskunft über die alltäglichen Konfrontationen mit
rassistischer Ideologie und rassentheoretisch begründeten Verfolgungen.
Von Schikanen durch Bürger bis hin zu Inhaftierungen und Ermordungen in
Konzentrationslagern reichten die Repressionen, die er anhand von Akten
nachzeichnet.
Die Nürnberger Gesetze von 1935 bildeten die rechtliche Grundlage für
staatliche Verfolgungen, die insbesondere die so genannten
"Rassenschande" unter schwerste Strafe stellten. Zusammen mit
Zwangssterilisierungen von "Trägern artfremden Blutes" gehörten die in
den Nürnberger Gesetzen vorgesehenen Strafandrohungen zu den
unmittelbaren Konsequenzen der nationalsozialistischen Rassentheorien.
Staatliche Sondergesetze und der Rassismus der Bevölkerung bildeten den
alltäglichen Rahmen, dem sich Araber ähnlich wie andere "nicht-arische"
Menschen ausgesetzt sahen.
Ein Schwerpunkt des Interesses, das von Höpp verfolgt wurde, bestand
darin, die Situation von arabischen Häftlingen in den unterschiedlichen
Internierungs- und Konzentrationslagern zu beleuchten.
Neben den zeitweise über 80.000 nordafrikanischen Kriegsgefangenen, die
als Angehörige der französischen Armee in den zahlreichen Stalags und
Frontstalags inhaftiert waren, lassen sich in den Quellen für nahezu
alle Konzentrationslager arabische und muslimische Häftlinge
identifizieren.
Widerstand, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, Sabotage, vor allem
aber auch bereits geringste Eigentumsdelikte oder Übertretungen von
Regelungen für Fremd- und Zwangsarbeiter dienten zur Begründung ihrer
Internierungen.
Über 450 Personen arabischer, vornehmlich nordafrikanischer Herkunft
konnten von Höpp namentlich anhand von verschiedenen Archivalien
ausgemacht werden, ihre tatsächliche Zahl dürfte allerdings deutlich
höher liegen.
Opfergedenken als Politikum?
Die Erinnerung an diese Opfer nationalsozialistischer Politik, die weder
in der deutschen noch in der arabischen Öffentlichkeit Erwähnung finden,
veranlasste den arabischen Fernsehsender al-Jazeera im Januar 2003 zu
einer Reportage aus der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen.
"Wo ist dein Grab, arabisches Opfer?" fragte Aktham Suliman, der
Deutschland-Korrespondent des Senders, und forderte, den arabischen
Opfern in ähnlicher Weise wie den jüdischen Opfern des Holocaust zu
gedenken.
Diese Forderung versteht sich ausdrücklich als eine politische. Israel
monopolisiere die Rolle der Opfer, heißt es im Vorspann der Sendung, und
es sei an der Zeit, endlich auch der arabischen Opfer des
Nationalsozialismus zu gedenken.
Historisch ist eine solche Parallelisierung unhaltbar. Im Rahmen einer
Tagung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zum Thema "Erinnerungspädagogik in
der deutschen Einwanderungsgesellschaft" beschäftigte sich ein Workshop
zum Schicksal von Muslimen in Konzentrationslagern unter anderem mit
dieser Frage.
Rosa Fava, pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte, wendete sich
dabei deutlich gegen die Botschaft eines solchen Vergleiches. Trotz der
Bedeutung, die der Erinnerung auch an muslimische und arabische Opfer
zukomme, sei es wichtig, so Fava, diese Verfolgungen von der
systematischen Vernichtungspolitik gegenüber Juden und Sinti und Roma zu
unterscheiden.
Differenzierung zwingend notwendig
Im Gespräch mit Besuchern sei es vielmehr notwendig, die
Vielschichtigkeit des Themas hervorzuheben. "Waren eigentlich auch
Muslime im Konzentrationslager?" könne zwar als Frage, die von
Jugendlichen oft gestellt wird, eindeutig mit einem "Ja" beantwortet
werden.
Dennoch sei es wichtig zu betonen, dass die Muslime nicht wegen ihres
Glaubens in den Konzentrationslagern inhaftiert wurden, erklärt die
Mitarbeiterin der Gedenkstätte, in der die Existenz von muslimischen
Häftlingen in Zukunft ausdrücklich thematisiert werden soll.
Trotz der rassistischen Repressionen seien Muslime eben nicht, wie die
Juden, systematisch verfolgt und schließlich ermordet worden.
Im Fall der Gedenkstätte Neuengamme stellt sich für die Pädagogen zudem
ein besonderes Problem: es handelt sich bei den Muslimen nicht um
typische Opfer.
Die Mehrheit der muslimischen Häftlinge bestand hier aus ehemaligen
Mitgliedern der muslimischen SS-Einheit Handschar, die von den
Nationalsozialisten unter den Muslimen des Balkans für den dortigen
Einsatz gegen Partisanen ausgebildet wurde.
Ende 1943 wurden über 800 der in der Ausbildung befindlichen SS-Leute
nach einer Meuterei in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Zum
Verständnis ihrer Situation im Lager ist ein Hinweis auf die
vorangegangene Kollaboration unerlässlich.
Die arabischen Opfer, die sich lange "im Schatten des Mondes" befanden,
wie Gerhard Höpp schreibt, werfen so nicht nur für die historische
Forschung weiterhin zahlreiche Fragen auf.
Auch in pädagogischer Hinsicht stellt ihr Schicksal die Gedenkstätten
vor die Herausforderung, die teilweise widersprüchliche Politik des
Nationalsozialismus gegenüber Muslimen und Arabern angemessen zu
vermitteln.
Götz Nordbruch
© Qantara.de 2005
Quelle:
www.qantara.de
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