Der Alltag der Muslime in
Deutschland
Von Yasin Alder
(iz)Das Pflichtgebet, welches von jedem Muslim und jeder Muslimin fünf Mal am Tag zu
bestimmten Zeiten verrichtet werden muss, prägt den Tag der Muslime und ist eine
beständige Erinnerung an ihre Ergebenheit gegenüber dem Schöpfer. Im Alltag einer
nichtmuslimisch geprägten Gesellschaft diese Pflicht zu erfüllen, ist organisatorisch
nicht immer ganz einfach. Viele kennen das Gefühl aus muslimischen Ländern, fünf Mal
täglich den Gebetsruf von unzähligen Moscheen zu hören, wobei es in jedem Ort eine nahe
gelegene, schnell erreichbare Moschee gibt, sodass man, egal wo man sich befindet, auch
leicht das Gebet in der Moschee und damit auf Segen bringende Art in Gemeinschaft
verrichten kann. Auch an den Arbeitsplätzen ist es dort in der Regel nichts besonderes,
dass Menschen beten, oft gibt es eigens dafür vorgesehene Räume. Diese Bedingungen sind
freilich hierzulande nicht gegeben, und so muss man, sofern man sich nicht zu Hause oder
in der Nähe einer Moschee befindet, andere Wege und Orte zur Verrichtung des Gebets
finden.
Es gibt
mehrere Fragen, die in diesem Zusammenhang relevant scheinen und die sich vielen immer
wieder stellen. Auf einige der wichtigsten Fragen soll im folgenden eingegangen werden.
Dazu ist anzumerken, dass in diesem Beitrag keine definitiven, endgültigen Antworten und
Handlungsanweisungen gegeben werden sollen, zumal es islamisch-rechtlich unter Umständen
unterschiedliche Positionen zu einzelnen Fragen gibt. Der Beitrag möchte lediglich
Vorschläge geben und mögliche Lösungen aufzeigen.
Wo beten?
Viele
kennen wohl die Situation, dass man zum Beispiel in der Innenstadt zum Einkaufen unterwegs
ist und die Gebetszeiten abzulaufen drohen. Gerade im Winter, wenn die Zeiten für das
Nachmittags- und Abendgebet recht früh liegen und zudem relativ nah beieinander, spielt
dies eine Rolle, ebenso auch am Arbeitsplatz. Sie habe in solchen Situationen schon
öfters in Kaufhäusern auf der Kundentoilette die rituelle Waschung (Wudu) durchgeführt
und dann in einer Umkleidekabine das Gebet verrichtet, erzählt beispielsweise Nura Peters
aus Düsseldorf. Das Bestreichen der Haare beim Wudu, wenn man Kopftuch trägt, ist im
öffentlichen Raum allerdings so eine Sache. Wenn man in der Öffentlichkeit Wudu machen
muss, kann man auch schon mal komische Blicke nichtmuslimischer Zeitgenossen ernten. Dass
jemand in einer solchen Situation dumme Bemerkungen erntet, gar beschimpft oder bedroht
wird, oder man am Arbeitsplatz deswegen Probleme bekommt, scheint glücklicherweise bisher
seltener der Fall zu sein.
Es wäre
jedenfalls ein islamisch-rechtlich zulässiger Grund, der einen vom Wudu zumindest an
diesem Ort abhalten kann. Hier kommt es aber auf den Einzelfall an. Manchmal können sich
aus einer solchen Situation aber auch interessante Gespräche ergeben, wie übrigens auch
dann, wenn man von Nichtmuslimen beim Gebet gesehen wird, was sicherlich viele schon
erlebt haben. Das soll natürlich nicht heißen, dass man mitten im belebten öffentlichen
Raum sein Gebet verrichten sollte. Man sollte sich schon einen ruhigen, sicheren,
geschützten Platz suchen.
Bei
der Suche nach einem geeigneten Gebetsplatz ist man als Muslim auch gefordert, sich
möglichst vorher nach einem solchen zu erkundigen und sich nicht leichtfertig in etwas zu
stürzen, was dann vielleicht zu Problemen führt, sagt der Islamwissenschaftler
Abdurrahman Reidegeld. Man kann zum Beispiel auch Leute danach fragen, wo es eine
Moschee gibt oder einen anderen geeigneten Ort, oder man informiert sich vorab, wenn man
an einen unbekannten Ort kommt. Und man kann dann seine Routen, seinen Tagesablauf, zum
Beispiel wenn man in der Stadt ist, danach ausrichten. Wenn man sich also entsprechend
umtut, klappt dies meistens auch.
Die
rituelle Waschung
Zum
Bestreichen der (Leder-)Socken als Erleichterung des Wudu sei die überwiegende Meinung
der vier Schulen, dass man als Nichtreisender diese Erleichterung für eine Zeit von
maximal fünf Pflichtgebeten in Anspruch nehmen kann, nachdem man nach einem regulären,
vollständigen Wudu die entsprechenden Socken angezogen hat. Bei Reisenden sei dies für
drei aufeinander folgende Tage möglich, so Reidegeld. Allerdings: Die
Minimalforderung ist dabei, dass das, was man da über die Füße zieht, nicht so dünn
ist, dass schon beim Bestreichen Feuchtigkeit durchkommt. Es muss undurchsichtig sein, die
Knöchel bedecken, in sich selbst einen gewissen Halt haben - also schon sehr kräftige
Wollstrümpfe oder Lederstrümpfe, nicht aber ein dünnes Söckchen. Nach klassischer
Meinung sollte man sich damit zudem auf normalem Untergrund 24 Stunden lang bewegen
können, ohne dass das Material zerreißt. Es sollten also, wenn nicht aus Leder, dann
zumindest sehr dicke Socken sein. Zu bedenken ist hierbei übrigens auch, dass es Socken
in unserer heutigen Form zur Zeit des Propheten gar nicht gab.
Hat man
gegen Ende einer Gebetszeit nicht mehr ausreichend Zeit, noch Wudu vorzunehmen, stellt
sich die Frage, was man in einer solchen Situation tun soll. Die Erlaubnis, Taijammum, die
Ersatzabreibung, vorzunehmen, besteht normalerweise in dem Fall, dass kein Wasser für das
Wudu zur Verfügung steht oder dass man, zum Beispiel durch eine feindliche Bedrohung, vom
Zugang zum Wasser abgehalten wird. Nach einer klassischen Meinung der Hanafija und Schafiija
sollte man, falls selbst Taiammum nicht möglich sei und keine Möglichkeit des
Zusammenlegens besteht, sogar das Pflichtgebet ohne Wudu, mit minimaler Rezitation,
verrichten, und es dann bei nächster Gelegenheit mit ritueller Reinheit nachholen,
berichtet Reidegeld. In der Malikija geht dies jedoch nicht, da es ohne rituelle Reinheit
kein gültiges Gebet gibt. Ein ähnliches Beispiel dafür: Muss man etwa morgens beim
Aufstehen eigentlich eine Ganzwaschung [Ghusl] durchführen, um das Morgengebet verrichten
zu könne, kann man dies, falls keine Möglichkeit zum Ghusl besteht oder man das Gebet
sonst verpassen würde, ersatzweise auch mit Taiammum verrichten.
Wenn die
Zeit knapp ist
Beim
Gebet am Arbeitsplatz ist es manchmal so, dass man arbeitsbedingt oder aus Zeitmangel
dieses nicht zur richtigen Zeit verrichten kann. Dabei ist natürlich die Vorstellung, ein
Gebet bewusst nicht zu verrichten, dessen Zeit verstreichen zu lassen und es dann später
nachzuholen, für Muslime sehr unangenehm. Man sollte immer nach einem Weg, einer Lösung
suchen, um das Gebet doch noch in seiner Zeit zu verrichten, auch wenn es mitunter
schwierig sein kann, da ein bewusstes Versäumen des Gebets sicherlich eine falsche
Handlung ist, die man aus Furcht vor Allah auf jeden Fall vermeiden sollte. Das Verrichten
des Gebets hat daher Vorrang vor allen anderen Dingen. Ich habe am Arbeitsplatz
häufiger meine Gebete zusammengefasst, wie auf der Reise, wenn es zeitlich nicht anders
möglich war, berichtet Abdurrahman Reidegeld. Er vertritt den Standpunkt, dass man
eher zu einer solchen Lösung greifen sollte, als die Gebete zu verpassen. Beim
Morgengebet hatte ich häufig den Fall, dass ich schon vor dem Gebet aus dem Haus musste
und dann die gesamte Dauer der Gebetszeit über in der Bahn unterwegs war. Daher habe ich
dann dort im Sitzen gebetet, erzählt Reidegeld aus seiner persönlichen Erfahrung.
Auch bei der Rückfahrt habe er mit der Verrichtung des Abendgebets vor allem im Winter
ähnliche Probleme gehabt und dann dieses mit dem Ischa-Gebet zusammengefasst. Zwar
ist nach der hanafitischen Rechtsschule ein Zusammenfassen von Gebeten außer zu
bestimmten Zeiten während der Hadsch nicht möglich, doch habe er auch Hanafiten
häufiger gesagt, dass sie im Extremfall eben nur diese beiden Möglichkeiten hätten:
Zusammenfassen oder verpassen und später nachholen. Ich halte letzteres für die
schlechtere der beiden Möglichkeiten, meint Reidegeld, der zugleich betont, dass er
keine Fatwa geben könne, nur einen persönlichen Rat.
Eine
große Zahl klassischer und auch moderner Gelehrter geht davon aus, dass man in einer
Notlage, etwa wenn man befürchtet, sonst ein Gebet zu verpassen, das Mittags- und
Nachmittagsgebet oder das Abend- und Nachtgebet wenn auch nicht zu verkürzen, so doch
zusammenfassen kann. Viele denken, dies sei nur bei Krankheit oder während einer Reise
möglich, doch es gibt auch andere Gründe, wie Beispiele aus der Prophetenzeit belegen,
so Reidegeld. Es sei immer besser, ein Gebet auf irgendeine Weise in seiner Zeit zu
verrichten, sei es zusammengelegt, im Sitzen oder im Extremfall sogar ohne rituelle
Reinheit, als es wissentlich zu versäumen.
Anzumerken
wäre noch, dass es in der malikitischen Schule beim Gebet die Unterscheidung zwischen
Ikhtijari- und Daruri-Zeit gibt, wobei beispielsweise die Daruri-Zeit des
Dhuhr[Mittags-]Gebetes über das Asr[Nachmittags]Gebet hinaus bis zum
Sonnenuntergang, der Zeit des Abendgebets, reicht. Es ist unter bestimmten Bedingungen
erlaubt, das Gebet auch in der Daruri-Zeit zu verrichten, sofern eine zwingende
Notwendigkeit beziehungsweise Entschuldigung dafür vorliegt und man es nicht in seiner
eigentlichen, der Ikhtijari-Zeit, verrichten kann.
Eine andere
häufig gestellte Frage ist, ob man zu hiesigen Sommerzeiten, wo das Nachtgebet durchaus
zwischen 23.00 und 24.00 Uhr liegen kann und das Morgengebet mitunter schon um 3.00 Uhr
beginnt, das Nachtgebet vorziehen und mit dem Maghrib[Abend-]Gebet zusammenlegen darf,
wenn man befürchtet, aufgrund von Müdigkeit oder Schlaf das Nachtgebet nicht in seiner
Zeit verrichten zu können.
Hier liege
es daran, so Reidegeld, wie man sich selbst einschätze: Wenn man meint, dass man
für das Nachtgebet aufstehen oder wach bleiben kann, dann darf man nicht zusammenlegen.
Wenn
man aber festgestellt hat, dass man nicht aufstehen kann oder man übermäßig müde wäre
und dadurch Nachteile hätte, etwa im Beruf, dann ist es gerechtfertigt, diese Beschwernis
durch das Zusammenlegen der Gebete zu erleichtern. Das muss der Einzelne individuell nach
bestem Wissen und Gewissen entscheiden, so der Experte für Islamisches Recht. Auch
hier sei das Zusammenfassen besser, als bewusst in Kauf zu nehmen, ein Gebet zu verpassen,
meint er.