Beim
Thema erlaubte Nahrungsmittel geht es nicht nur um korrekt geschlachtetes
Fleisch. Von Yasin Alder, Bonn
Im Kapitalismus spirituell
leben?
(iz).
Dass es im Islam bestimmte Vorschriften zur Ernährung gibt, zum Beispiel welche Speisen
erlaubt sind und welche nicht, ist allgemein bekannt. Dabei muss zunächst generell gesagt
werden, dass der Begriff des Erlaubten (halal) sich nicht nur auf Lebensmittel bezieht,
sondern im umfassenden Sinne für Erlaubtes verwendet wird, im Gegensatz zu Verbotenem
oder Verwehrten, das als haram bezeichnet wird. Dazu können beispielsweise auch bestimmte
Handlungen gehören.
Halal und
Ernährung
Im Rahmen
der Ernährung muss zunächst betont werden, dass die Anzahl der verbotenen Substanzen,
wie etwa Alkohol und andere berauschende Substanzen, Schweinefleisch und Fleisch, das im
Namen von etwas anderem außer Allah geschlachtet worden ist, Blut oder Aas,
vergleichsweise sehr gering ist. Speisevorschriften in einem Umfang, wie sie sich
beispielsweise im Judentum finden, gibt es im Islam nicht. Nach der mehrheitlichen
Rechtsmeinung ist zunächst einmal alles grundsätzlich halal, was nicht nachweislich,
also durch einen Gegenbeweis, nicht halal ist. Was an Fleisch von Leuten des Buches,
also Juden und Christen, geschlachtet wurde, ist für Muslime prinzipiell erlaubt. Ein
Meinungsunterschied besteht heute nur in der Frage, ob man bei Fleisch, dass in einem
hiesigen Schlachthof unter industriellen Bedingungen gewissermaßen anonym
geschlachtet worden ist, überhaupt davon ausgehen kann, dass es sich um von (gläubigen)
Juden oder Christen geschlachtetes Fleisch handelt.
Es gibt im
Islam aber noch weitere Regeln für die Schlachtung eines Tieres. Diese dienen auch dazu,
das Tier so schonend wie möglich zu behandeln. Durch die ganze Art der Handlung des
Schlachtens wird deutlich, dass das Tier nicht wie eine Sache behandelt werden
kann, sondern auch diese Handlung mit einer entsprechenden Würde erfolgen soll. Ein
fließbandartiges, industrielles Schlachten, in der Tiere eher als Fleischprodukte
behandelt werden, wie in den hiesigen Schlachthöfen, widerspricht daher eindeutig der
islamischen Ethik. Die Frage, ob ein Nahrungsmittel halal ist, hängt aber nicht nur von
der Art der Schlachtung ab, sondern auch zum Beispiel davon, wie das Tier ernährt worden
ist. Eine Fütterung mit Tiermehl etwa, also unnatürlicher Nahrung, ist in diesem
Zusammenhang nicht akzeptabel. Die Frage, ob das Fleisch des Tieres als halal betrachtet
werden kann, geht aber noch darüber hinaus und erstreckt sich auch auf die Erwerb des
Tieres und seines Futters. So ist es zumindest fragwürdig, ob das Fleisch eines
unrechtmäßig erworbenen oder mit unrechtmäßig erworbenem ernährtes Tier halal ist,
oder wenn das Futter mit unrechtmäßig erworbenem Geld gekauft wurde, oder selbst das
Land, etwa der Stall oder die Weide, wo das Tier stand, unrechtmäßig erworben ist. Das
kann zum Beispiel bedeuten, dass das Geld dafür aus dem Handel mit Verbotenem oder aus
Riba, verbotenem Zins beziehungsweise Mitteln aus Wucher, stammt. Daran wird deutlich,
dass das Thema halal viel weitergehende Implikationen beinhaltet, als selbst vielen
Muslimen heute bewusst ist, und in welchem umfassenderen ethischen und
islamisch-rechtlichen Rahmen es eigentlich zu sehen ist. Dies zeigt sich aber auch zum
Beispiel ganz praktisch darin, dass vielen Muslimen ein Imbiss, in dem neben Halal-Döner
auch Alkohol verkauft wird oder ein Spielautomat steht, also das im Islam verbotene
Glücksspiel angeboten wird, zu recht suspekt ist. Der Schöpfer verwendet im Quran
im Zusammenhang mit dem Wort halal für Nahrung auch den Begriff tajjib,
was in etwa mit rein, gut zu übersetzen ist. Muslime sind daher auch
aufgefordert, auf die Qualität der Nahrung zu achten. Die Nahrung soll auch Würde
haben. Wer etwas zu sich nimmt, das damit nicht vereinbar ist, der hat seiner eigenen
Würde als Mensch, dem ja von Allah Würde widerfahren ist, eigentlich keinen Gefallen
getan, sagt der Islamwissenschaftler Abdurrahman Reidegeld. Beim Thema halal
geht es auch darum, ein Tier auf vernünftige Weise heranzuziehen und auf anständige
Weise zu schlachten und zuzubereiten, sodass Allah damit zufrieden ist, so der
Islamwissenschaftler. Die heutige industrielle Tierhaltungs- und Schlachtungsweise, die
das Tier entwürdigt, sei daher aus islamischer Sicht eigentlich grundsätzlich
abzulehnen.
Halal und
Bio
Leider ist
bei vielen auf dem deutschen Markt erhältlichen, als halal deklarierten
Produkten - in der Regel handelt es sich dabei um Fleischprodukte, die aus dem
europäischen Ausland importiert werden - nicht einmal klar, ob die Schlachtung selbst
überhaupt als halal bezeichnet werden kann, von den anderen genannten Aspekten ganz zu
schweigen. Die Verbindung von halal und dem derzeit boomenden Bio-Gedanken ist ein
interessantes Feld, das bisher allerdings zumindest in Europa noch nicht so weit ins
Bewusstsein der Konsumenten durchgedrungen ist. Anzumerken ist dabei aber auch, dass die
heutige Praxis - wie es bei Bio-Gemüsehändlern auf manchem Wochenmarkt durchaus üblich
ist -, biologisch-dynamische Produkte aus Südamerika oder Neuseeland zu
verkaufen, wegen der insgesamt ungünstigen Ökobilanz angesichts des langen Transports
auch äußerst fragwürdig ist und dem eigentlichen, Bio-Gedanken zuwiderläuft, der wie
der islamische Halal-Begriff umfassender zu sehen ist. Hier geht es offenbar häufig nur
darum, ein neues Produktsegment möglichst effektiv zu vermarkten, weil es sich so eben
gut verkaufen lässt, anstatt entsprechend dem ursprünglichen, umfassenderen Bio-Gedanken
darauf zu achten, dass nicht nur der Anbau selbst den Bio-Kriterien entspricht, sondern
der gesamte Produktionsprozess in sich nachhaltig und umweltschonend ist und einen
organischen Kreislauf darstellt, woran einige Vorreiter der biologischen Produktion wie
Demeter nach wie vor festhalten.
Dass sich
die Verbindung von Halal und Bio bei Muslimen zumindest hierzulande noch nicht so
durchgesetzt hat, liegt auch an anderen Gründen: So hat eine deutsche Firma, die
biologisch produziertes Halal-Fleisch anbietet, damit zu kämpfen, dass viele noch nicht
bereit zu sein scheinen, für Fleisch, das nicht nur halal ist, sondern auch Bio-Qualität
hat, auch etwas mehr Geld auszugeben - und dafür vielleicht generell den Fleischkonsum,
der zugegebenermaßen bei hiesigen Muslimen oft sehr hoch ist, etwas zu reduzieren, nach
der Devise: Lieber etwas weniger Fleisch, dafür aber mit besserer Qualität. Schließlich
ist der Gedanke des Maßhaltens und der Bescheidenheit in der Lebensführung generell, und
eben auch in der Ernährung, ohnehin ein zutiefst islamischer. Viele Muslime erkennen
jedoch zunehmend, dass es bei einer guten Ernährung nicht nur auf halal oder nicht halal
ankommt, sondern auch auf gesund oder nicht gesund. Auch achten manche Eltern darauf,
grundlegende Lebensmittel wie Brot oder Käse auch mal selbst herzustellen, damit die
Kinder einen Eindruck von deren Herstellung per Hand erhalten und so auch einen anderen
Blickwinkel auf Nahrungsmittel bekommen, als Selbstbedienung im Discount-Supermarkt oder
Fertiggerichte es vermitteln können.
Der Mensch
ist gemäß dem Wort Allahs im Quran von Ihm als Stellvertreter (Khalif) auf Erden
eingesetzt worden. Die Verantwortung, die sich aus dieser gewaltigen Aussage ergibt, ist
kaum zu ermessen. Damit verbunden ist aber die Erkenntnis und das Verständnis, dass wir
als Menschen nicht von dem realen Ort unserer Daseins zu trennen sind. Dies stellt den
Menschen in Zusammenhang mit der restlichen Schöpfung und erlegt ihm auch auf, sich so zu
verhalten, dass er keinen Schaden anrichtet und auch sich selbst keinen zufügt. Wenn man
die Bedeutung von Halal konsequent durchdenkt, geht es also letztlich auch um den eigenen
Lebensstil und die Veränderung desselben.
Die
Halal-Branche
Das Thema
Halal in Bezug auf Ernährung umfasst schließlich auch die Frage der Lebensmittelzusätze
und ob diese halal sind oder nicht. Auch in Deutschland beschäftigt man sich mit der
Zertifizierung von Produkten als halal, etwa bei halal.de oder der damit verbundenen
Prüfungsstelle (www.halalcontrol.com). Die Vergabe von so genannten Halal-Zertifikaten
für die verschiedensten Produkte hat sich, wie der Markt für solche Produkte selbst,
mittlerweile zu einem boomenden Bereich mit enormen Gewinnen entwickelt, insbesondere in
Südostasien. Auf den Philippinen beispielsweise, obgleich Muslime dort nur eine
Minderheit der Bevölkerung stellen, bemühen sich inzwischen sogar nichtmuslimische
Firmen um eine solche Zertifizierung, da nicht nur seitens muslimischer, sondern
inzwischen zunehmend auch von nichtmuslimischen Kunden eine Nachfrage nach Halal-Produkten
besteht. Letztere sehen diese offenbar als Beitrag zu einer gesunden Ernährung an. Bei
diesem Thema schwingt allerdings stets die Frage mit, ob die Prüfung und Zertifizierung
wirklich zuverlässig ist, nach welchen Kriterien sie arbeitet, und ob dabei auch ein
weitergehender Ansatz des Halal-Begriffes vorhanden ist oder dieser sich nur auf die
Schlachtung (bei Fleisch) oder das Nichtvorhandensein verbotener Bestandteile oder
Zusatzstoffe bezieht. Produktionsfirmen beispielsweise in Südostasien beantragen
Halal-Zertifikate mittlerweile für alle möglichen Produkte, wie Käse, Milch, Zucker,
Seefrüchte, Spaghetti, Öl, Kekse, Chips, Kaffee und Schokoladenprodukte; aber auch
Produkte aus dem Non-Food-Bereich wie Kräuterzusätze, Mundwasser und Zahnpasten, die als
halal zertifiziert werden sollen, werden immer wieder nachgefragt. Oft sind es
islamische Institutionen oder Organisationen, die solche Zertifikate vergeben. Auf
www.worldhalalforum.org kann man sehen, dass selbst globale Konzerne wie Nestlé, die
wegen ihrer Unternehmenspolitik etwa in Afrika seit langem schwer umstritten sind, sich
hier Produkte als halal zertifizieren lassen und so ihre Absatzchancen beim großen
muslimischen Kundenpotenzial enorm erhöhen und ihr Image aufpolieren. Nestlé zählt
sogar zu den Sponsoren des World Halal Forum. Selbst der Fast-Food-Konzern
McDonalds bietet Halal Meals an, seit kurzem nicht mehr nur in muslimischen
Ländern, sondern auch in den USA; Australien und jetzt in einer Testphase in London. Denn
der Markt dafür ist verlockend: Zwischen 12 und 15 Milliarden Euro soll allein in Europa
der Halal-Lebensmittelmarkt umfassen. Während europäische Politiker den
zunehmenden muslimischen Bevölkerungsanteil problematisieren oder dramatisieren, rechnet
die Wirtschaft ganz nüchtern aus, wie man das Potenzial dieser an Bedeutung gewinnenden
Kundengruppe gewinnen und abschöpfen kann. Das Halal-Business hängt wiederum auch mit
dem aus islamischer Sicht nicht weniger fragwürdigen Bereich des Islamic Finance
und Islamic Banking zusammen.
Es scheint
bedauerlicherweise so zu sein, dass der mittlerweile milliardenschwere Markt für
Halal-Produkte weltweit, der in den letzten Jahren Gewinne um die 200 Milliarden Dollar
machte, nur ein weiterer Markt für bestimmte Produkte neben anderen im bestehenden
Kapitalismus ist. Das Halal-Prinzip müsste dem gegenüber im Sinne seiner
weiterreichenden Bedeutung stärker berücksichtigt werden, um wirklich alternative
Konzepte entwickeln zu können, die diesem tatsächlich gerecht werden können. Letztlich
ist dies im Rahmen der grundsätzlichen Frage zu sehen, ob man im Rahmen des Kapitalismus
wirklich spirituell sein kann, ohne grundsätzlich alternative Konzepte zu entwickeln und
zu leben. Es geht um die Veränderung der Lebensweise.
Quelle: Islamische Zeitung
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